Die Geschichte der ältesten deutschen Partei begann im Jahr 1863, als Ferdinand Lassalle den „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ gründete. Es folgten 1869 August Bebel und Wilhelm Liebknecht mit der Gründung der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ (SDAP) und der Zusammenschluss beider Organisationen zur „Sozialistischen Arbeiterpartei“ (SAP) im Jahr 1875.
Die Gründerfiguren verkörperten unterschiedliche Wege zum Sozialismus: Lassalle hoffte, auf einem evolutionären Weg zur arbeiterfreundlichen Gesellschaft zu kommen, Bebel und Liebknecht hingegen betonten Internationalismus und predigten, inspiriert von Karl Marx, die Revolution. Es war ein Konflikt, der die SPD dauerhaft begleitet hat und den es in abgemilderter Form auch heute noch gibt, nämlich der zwischen vermeintlich realistischen Pragmatikern und vermeintlich weitblickenden Visionären.
Im Kaiserreich war die Partei staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt. Sozialdemokraten galten als „vaterlandslose Gesellen“, die mit allen Mitteln polizeilicher Repression bekämpft wurden. Höhepunkt war 1878 das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ („Sozialistengesetz“). Damit wurden sozialdemokratische Vereine, Zeitungen und Publikationen verboten, nur die sozialdemokratische Reichstagsfraktion konnte noch legal agieren. Das Gesetz wurde 1890 aufgehoben, nachdem der Aufstieg der Sozialdemokraten nicht zu stoppen war. August Bebel entwickelte sich zur unbestrittenen Führungspersönlichkeit der deutschen Sozialdemokratie, die seit 1890 den heutigen Namen trug: Sozialdemokratische Partei Deutschlands – SPD. 1892 übernahm er den Vorsitz der SPD und hatte dieses Amt bis zu seinem Tod 1913 inne. Unter Führung von August Bebel – wegen seiner Popularität auch „Arbeiterkaiser“ genannt – wurde die SPD bis zum Ersten Weltkrieg zu einer Massenpartei.
Gründungspartei der Weimarer Republik
Die Gründung der ersten Demokratie auf deutschem Boden ging maßgeblich von der SPD aus: Am 9. November 1918 verkündete der SPD-Politiker Philipp Scheidemann von einem Balkon des Reichstagsgebäudes aus den Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs und proklamierte die „Deutsche Republik“. Die Mehrheits-SPD setzte auf die parlamentarische Demokratie und verlegte sich auf viele konkrete Fortschritte anstelle des einen großen Wurfs. Viele derjenigen, die weiterhin auf Revolution setzten, suchten sich eine neue politische Heimat in der KPD.
Die kleinen Schritte waren tatsächlich große Fortschritte: In Preußen wurde das nach Einkommen gestufte Dreiklassenwahlrecht endgültig abgeschafft und damit das Prinzip „Ein Mann-eine Stimme“ verwirklicht. Zugleich setzte die SPD das Frauenwahlrecht durch. Nicht zu vergessen die Einführung einer Arbeitslosenversicherung 1927, wodurch zumindest grundsätzlich niemand mehr in Obdachlosigkeit und Hunger stürzen musste, wenn er seine Arbeit verloren hatte. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war die SPD, obschon die meiste Zeit auf den Oppositionsbänken, die verlässlichste Stütze der Weimarer Republik.
„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“ (Otto Wels)
In der Nazi-Zeit wurden viele Sozialdemokraten erneut Opfer politischer Verfolgung, prominente Genossen wurden inhaftiert und misshandelt, nicht wenige kamen durch den Nazi-Terror ums Leben.
Der erste Nachkriegsvorsitzende Kurt Schumacher, der im Ersten Weltkrieg bereits den Arm verloren hatte, war von der jahrelangen KZ-Haft schwerstens gezeichnet.
Von Godesberg ins Kanzleramt
Im Nachkriegsdeutschland versuchte die SPD, an die Zeiten der Weimarer Republik anzuknüpfen, doch die erhofften Wahlerfolge wollten sich nicht einstellen. Schließlich wagte die SPD-Führung die programmatische Erneuerung: Auf dem Godesberger Parteitag 1959 brach die SPD offen mit althergebrachten Traditionen. Das revolutionäre Vokabular wurde gestrichen, der Klassengegensatz relativiert, die soziale Marktwirtschaft anerkannt und der demokratische Sozialismus definiert als eine menschenfreundliche Gesellschaft mit einem interventionsfreudigen Staat.
Mit dem Godesberger Programm vollzog die Partei die endgültige Wende weg von der Klassen- und hin zur Volkspartei. Im Zuge dieses Prozesses veränderten sich die politischen Inhalte unvermeidlich. Die SPD war ein gewaltiges Stück bescheidener geworden. Aber die Partei hatte damit Erfolg: 1969 zog mit Willy Brandt erstmals ein Sozialdemokrat ins Kanzleramt ein, in einer Koalition mit der FDP.
Wir wollen mehr Demokratie wagen
Die Regierungszeit Willy Brandts gilt vielen als Sternstunde der Sozialdemokratie: die Verheißung von „Mehr Demokratie wagen“ nach innen und die Entspannungspolitik nach außen brachten nicht nur gewaltige Wahlsiege, sondern schuf auch Mitgliederrekorde. Weit mehr als eine Million Menschen trugen seinerzeit das Parteibuch der SPD und glaubten an etwas. Und Willy Brandt? Der Parteivorsitzender von 1964 bis 1987 gilt den meisten Menschen bis heute als Personifizierung der Sozialdemokratie.
Anders Helmut Schmidt, der Brandt im Kanzleramt nachfolgte. Er verstand sich als „leitender Angestellter der Republik“ und war in seiner Regierungszeit zumeist mit Krisenbewältigung beschäftigt, während die Partei heftig über die richtige Programmatik rang.
Willy Brandt hielt als Parteivorsitzender die SPD zusammen und unterstützte damit den Kanzler über Jahre hinweg. So manche Sozialdemokraten brauchten lange, um mit der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt ins Reine zu kommen, denn gutes Regieren allein, das war vielen in der SPD lange Zeit nicht genug.
„Die SPD ist und bleibt die Partei der praktischen Vernunft“ (G. Schröder)
Der dritte in der Riege der SPD-Kanzler der Bundesrepublik war schließlich Gerhard Schröder. Während der rot-grünen Regierungszeit verzichtete die SPD-Spitze darauf, das Regierungshandeln in einen größeren Zusammenhang zu stellen und damit mündete die rot-grüne Regierungsphase in eine große Koalition, die wiederum mit der verheerenden Wahlniederlage der SPD endete. Denn ein wichtiges Element sozialdemokratischen (Regierungs-)handelns war aus dem Fokus geraten: Die SPD war immer und ist bis heute eine Programmpartei, die auch im 150. Jahr ihres Bestehens eine sozialdemokratische Erzählung braucht.
Stephan Raabe